Die Molokanen sind eine religiöse Gemeinschaft, die ihren Ursprung im 18. Jahrhundert im Russischen Reich hat. Als spirituelle Christen lehnten sie viele der orthodoxen Rituale ab und entwickelten eigene Glaubenspraktiken. Aufgrund ihrer Abweichung von der orthodoxen Tradition wurden sie von der zaristischen Regierung verfolgt und in entlegene Gebiete des Reiches verbannt, darunter auch nach Transkaukasien. So entstand eine bedeutende molokanische Gemeinschaft in Aserbaidschan, die sowohl kulturell als auch wirtschaftlich tiefe Spuren hinterlassen hat.
Die Entstehung der molokanischen Bewegung
Das Molokanentum entstand im 18. Jahrhundert als Reaktion auf die vorherrschende Orthodoxie in Russland. Sie gehörten zu den „geistlichen Christen“ (Духовные Христиане), die sich durch eine Rückkehr zu den biblischen Ursprüngen des Glaubens und die Ablehnung kirchlicher Hierarchien auszeichneten. Die Molokanen praktizierten eine schlichte Form des Christentums, die den direkten Kontakt zu Gott ohne Vermittlung durch Priester betonte. Ihre religiösen Überzeugungen, einschließlich der Ablehnung vieler orthodoxer Traditionen, führten zu ständigen Konflikten mit der offiziellen russischen Kirche und dem Staat.
Die Umsiedlung in den Kaukasus
Unter den Herrschern Katharina II., Alexader I. sowie Nikolaus I. wurden viele Molokanen aus dem europäischen Teil Russlands in entlegene Gebiete des Reiches umgesiedelt. Ein bedeutender Teil der Gemeinschaft fand sich schließlich im Kaukasus wieder. Die erste Gruppe von Molokanen kam 1834 in das heutige Aserbaidschan und gründete das Dorf Alty-Aghatsch (aserb. Altıağac) im Tal des Ata-Chay. Diese Siedler stammten aus verschiedenen Regionen des Russischen Reiches, darunter die Gouvernements von Taurien, Bessarabien, Wladimir und Orenburg. Die Zahl der Molokanen in der Region wuchs stetig, und bis 1839 hatte allein Alty-Aghatsch über 1.600 Bewohner.
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Die Molokanen in Baku
In der Mitte des 19. Jahrhunderts begann sich Baku von einer kleinen Provinzstadt zu einem wichtigen Wirtschaftsstandort zu entwickeln, insbesondere mit dem Aufstieg der Erdölindustrie. Die Molokanen, die handwerklich begabt waren, spezialisierten sich auf die Herstellung von Holzfässern für die Ölindustrie, die zu dieser Zeit in der Stadt wuchs. Sie gründeten eine eigene Siedlung, die sogenannte „Molokanskaja Sloboda“, am Rande Bakus. Diese Siedlung war ein Zentrum molokanischen Lebens mit Werkstätten, Wohnhäusern und kleinen landwirtschaftlichen Betrieben.
Der Molokanskiy Garten, ein Park, der im Zentrum dieser Siedlung 1870 angelegt wurde, wurde schnell zu einem beliebten Treffpunkt. Ursprünglich von einem wohlhabenden Molokan namens Kojechev gegründet, der auch den Bau des ersten öffentlichen Brunnens in Baku finanzierte, wurde der Park im Laufe der Jahre immer wieder umbenannt, ist aber bis heute als Molokanskiy Garten bekannt.
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Wirtschaftlicher Aufschwung und Konflikte mit den Behörden
Die Molokanen hatten großen wirtschaftlichen Erfolg, insbesondere durch ihre Rolle in der expandierenden Erdölindustrie. Ihre handwerklichen Fähigkeiten, vor allem in der Fassherstellung, waren gefragt, und ihre Siedlung entwickelte sich zu einem wichtigen Produktionszentrum. Doch mit dem Wachstum Bakus rückte die Molokanskaja Sloboda zunehmend vom Stadtrand ins Zentrum, was zu Konflikten mit den städtischen Behörden führte. Diese veranlassten schließlich den Umzug der Siedlung an den Stadtrand, wo der Bereich noch heute als „Malakanka“ bekannt ist.
Kulturelle und religiöse Identität
Trotz der wirtschaftlichen Herausforderungen behielten die Molokanen eine starke kulturelle Identität. Sie pflegten intensive Beziehungen zu anderen molokanischen Gemeinschaften im Kaukasus und in Russland und hielten ihre religiösen Traditionen aufrecht. Feste wie Weihnachten, Ostern und Pfingsten wurden streng eingehalten, und die Gemeinschaft unterstützte sich gegenseitig bei wichtigen Lebensereignissen wie Hochzeiten, Geburten und Beerdigungen. Charakteristisch für die Molokanen war auch die gemeinsame Nutzung von Ressourcen, wie etwa das Teilen von Geschirr für festliche Anlässe.
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Der Niedergang der Gemeinschaft nach 1917
Nach der Russischen Revolution 1917 verschlechterte sich die Lage der Molokanen in Baku. Die Revolution und die nachfolgende Sowjetregierung brachten tiefgreifende politische und wirtschaftliche Veränderungen mit sich, die viele Molokanen dazu zwangen, das Land zu verlassen. Die Nationalisierungen und die atheistische Staatsideologie der Sowjetunion unterdrückten religiöse Gruppen, und viele Molokanen wanderten nach Russland, insbesondere in den Nordkaukasus, ab.
Eine bedeutende Figur in dieser Zeit war Matvej Iwanowitsch Skobelev, ein prominentes Mitglied der molokanischen Gemeinschaft Bakus und Minister in der Provisorischen Regierung. Skobelev hatte großen Einfluss auf die lokale Politik, verließ jedoch nach der Revolution Aserbaidschan und wurde in den 1930er Jahren während der Stalinschen Säuberungen hingerichtet.
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Das Erbe der Molokanen in Baku
Heute sind nur noch wenige Molokanen in Baku geblieben. Ihre historische Präsenz ist jedoch noch immer spürbar. Der Molokanskiy Garten, heute unter dem Namen Chaghani-Park bekannt, bleibt ein symbolischer Ort, der an das Erbe dieser Gemeinschaft erinnert. Auch das ehemalige molokanische Bethaus in Baku ist ein wichtiges historisches Gebäude, das 2019 restauriert wurde und heute als Kulturzentrum dient.
Die Geschichte der Molokanen in Aserbaidschan ist ein Beispiel für die Resilienz und Anpassungsfähigkeit religiöser Minderheiten in Zeiten politischer und sozialer Umbrüche. Obwohl ihre Zahl im Laufe der Jahrhunderte abgenommen hat, bleibt ihr kulturelles und wirtschaftliches Erbe in Baku und Aserbaidschan erhalten.
Gebet von Molokanen in Aserbaidschan im Dorf İvanovka
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